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Freiburger Geographische Hefte, Heft 57

Irene Marzloff (1998): Großmaßstäbige Fernerkundung mit einem unbemannten Heißluftzeppelin für GIS-gestütztes Monitoring von Vegetationsentwicklung und Geomorphodynamik in Aragón (Spanien)

Zusammenfassung

Landdegradation und Desertifikation, begünstigt durch semi-aride und aride Klimaverhältnisse und eine jahrtausendelange Landnutzungsgeschichte, bedrohen weite Teile des Mittelmeerraums. Insbesondere Spanien unterlag in diesem Jahrhundert einem starken Landnutzungswandel, der großräumige Landschaftsveränderungen und oftmals die Auslösung oder Verstärkung von Degradationsprozessen mit sich bringt. Bodenerosion durch Wasser gilt als der wichtigste Degradationsprozeß im Mittelmeerraum und hat gleichzeitig die schwersten, da unumkehrbaren Folgen für die Landschaft. Die Erfassung und Erforschung der aktuellen Geomorphodynamik und ihren Zusammenhänge mit Vegetation, Boden, Relief und Klima wird zum Schlüssel für das Verständnis und die Vermeidung von Landschaftsdegradation.

Luft- und Satellitenbilder finden in Verbindung mit GIS-Techniken zunehmend Einsatz beim Monitoring von Landdegradation und Bodenerosion in regionalem oder gar globalen Maßstabsbereich. Die mit ihnen verfügbaren räumlichen wie auch zeitlichen Auflösungen entsprechen jedoch nicht der Prozeßebene bzw. der Prozeßdynamik, in der sich das Erosionsgeschehen in Abhängigkeit von kleinräumig variabler Vegetationsbedeckung und Formen des Mikroreliefs abspielt. Für die Erforschung des aktuellen geomorphologischen Prozeßgeschehens in großen Untersuchungmaßstäben ist indes eine detaillierte und wiederholbare flächenhafte Aufnahme kleinräumiger Verteilungsmuster von Formen und Prozessen sowie die kontinuierliche Erfassung des Mikroreliefs notwendig.

Das DFG-Projekt EPRODESERT der Universitäten Frankfurt und Freiburg beschäftigt sich seit 1995 mit der Untersuchung von Faktoren und Prozessen der Landdegradation auf exten sivierten Nutzflächen, vor allem vorübergehend stillgelegten und aufgegeben Ackerflächen, in Nordostspanien. Thema der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung und Anwendung eines Fernerkundungssystems, das auf das gezielte Monitoring ausgesuchter, 24 m x 36 m großer Test flächen und ihrer Umgebung unter prozeßgeomorphologischen Fragestellungen zugeschnitten ist. Voraussetzung bei der Systementwicklung waren flexible Flughöhen und damit Bildmaßstäbe und Auflösungen, die den verschiedenen Prozeßebenen gerecht werden, Wiederholrate, Kostengünstigkeit, einfache Bedienbarkeit und Transportabilität.

Ein 10 m langer, mit Propangas betriebener Heißluftzeppelin dient als stabile und vibrationsfreie Plattform für ein drehbares Doppelkamerasystem aus zwei handelsüblichen Kleinbild-Spiegelreflexkameras mit Normal - und Infrarot-Farbdiafilm. Die Kontrolle über Brenner und Kamerasystem erfolgt mittels Fernsteuerung vom Boden aus, Steuerseile erlauben eine exakte Positionierung in Höhen von bis zu 400 m über der aufzunehmenden Fläche. Über drei Jahre hinweg konnte somit ein gezieltes Monitoring von mehreren Testflächen in Maß stäben zwischen 1:200 und 1:10 000 (Flächenabdeckung ca. 35 m² bis 10 ha) durch geführt werden.

Auf der Basis der mit dem Photo-CD-Verfahren digitalisierten Luftbilder entstand unter Verwendung von Bildverarbeitungs- und GIS-Software ein prozeßgeomorphologisches Informationssystem, dessen digitalen georeferenzierten Testfeldkarten (Auflösung 2,5 cm) verschiedene Auswerteverfahren zugrunde liegen. Digitale Spektralklassifikationen und hybride visuell/digitale Mischverfahren sowie visuelle Bildinterpretation in Verbindung mit Bildschirmdigitalisierung ermöglichten die kleinräumige Klassifizierung von Bedeckungsgraden, Verteilungsmustern und Lebensformen der Vegetation sowie die Erfassung von geomorphologischen Prozessen; Textur- und Fourieranalysen dienten zur automatischen Kartierung von Pflugbearbeitungs strukturen. Nach Kalibrierung der Kleinbildkameras konnten durch photogrammetrische Auswertung von geeigneten Stereoluftbildern Geländemodelle mit einer Auflösung von 25 cm und einer Orientierungsgenauigkeit von 3-6 cm in der Höhe hergestellt werden, auf deren Grundlage Karten der Hangneigung, der Wölbungstendenzen und potentieller Fließpfade für die Testfelder berechnet wurden.

Das so entstandene prozeßgeomorphologische Informationssystem diente zur statistischen Analyse (vorwiegend durch Kreuztabellierungen und Korrespondenzanalysen) und Interpretation der Entwicklungen und Zusammenhänge von Vegetationsbedeckung und Geomorphodynamik unter dem Einfluß von Relief und Niederschlagsgeschehen auf drei Testflächen im semiariden Ebrobecken, den subhumiden Vorpyrenäen und den humiden Hochpyrenäen. Es ließ sich beobachten, daß die geomorphologische Prozeßaktivität auf allen Untersuchungsflächen deutlich negativ mit dem Vegetationsbedeckungsgrad korreliert, wobei sich im einzelnen unterschiedliche Zusammenhänge für die drei Klimabereiche und innerhalb dieser für verschiedene Lebensformen zeigen. Eine Beeinflussung der aktuellen Geomorphodynamik durch das Mikrorelief ist vor allem für lineare Erosionsformen nachzuweisen. Nur bei geringen Gesamtbedeckungsgraden überwiegt der Einfluß des Reliefs als Steuerfaktor für Erosionsprozesse gegenüber dem der Vegetationsbedeckung; dann vermag auch das Nanorelief (Bearbeitungsmuster der ehemaligen Ackerfläche) einen hohen Einfluß auf Verteilung und Intensität der geomorphologischen Prozesse zu nehmen. Diese faktorenübergreifenden Interpretationen werden für die einzelnen Untersuchungsgebiete ergänzt durch gesonderte Detailbetrachtungen zu dem geomorphologisch je speziellen Formenschatz (Rinnen- und Grabenerosion auf den Brachflächen ver schiedenen Alters im Ebrobecken, Entwicklung der Steinbedeckung auf der Ackerbrache in den Vorpyrenäen).

Als wichtigstes Untersuchungsergebnis mußte festgestellt werden, daß auf den beobachteten Flächen Erosionsprozesse in kleinräumig starker Differenzierung noch bei weit höheren Vegetationsbedeckungs graden ablaufen als bei (meist großräumigeren) Untersuchungen zur Landdegradation im allgemeinen angenommen wird: ein Vegetationsbedeckungsgrad von 30-40% gilt allgemein als Schwellenwert, oberhalb dessen der Oberflächenabfluß und die Erosionsrate vernachlässigbar geringe Größen erreichen. Dagegen zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, daß erosive Spülvorgänge auch noch bei 70% durchschnittlicher Gesamt bedeckung auf den Brachflächen stattfinden, kleinräumig ist schwache Flächenspülung sogar bei Bedeckungsgraden bis 90% und (über mehrere Beobachtungszeitpunkte hinweg) eine Zunahme der Prozeßdynamik noch bei zunehmender Vegetationsbedeckung zu beobachten. Die Eindämmung bereits eingesetzter Spülprozesse bedarf insbesondere im semi-ariden Bereich, wo die Vegetationssukzession durch Wasserstreß limitiert ist, hoher kleinräumiger Vegetationszunahmen von mindestens 60%-Punkten.

Mit der vorliegenden Arbeit konnten für der Maßstabsspanne des Testfelds zwischen Nano - und Mikrorelief deutliche Zusammenhänge zwischen flächenhaft erfaßbaren Steuerfaktoren und Prozessen der Landdegradation (Reliefform, Steinbedeckung, Zustand und Veränderung der Vegetationsbedeckung und aktuellen Geomorphodynamik) aufgezeigt werden, die mit Sicher heit auch auf höheren Maßstabsebenen ein Gefährdungspotential bedeuten. Sie stellt damit einen Baustein auf dem Weg zur Erfassung des Prozeßgefüges und der Übertragung von Prozeß abläufen im Vegetationssukzession/Geomorphodynamik-Komplex in verschieden große geomorphologische Systeme dar. Gleichzeitig verdeutlicht die Arbeit das bisher wenig genutzte Potential der großmaßstäbigen Fernerkundung mit kostengünstigen Aufnahmesystemen in Verbindung mit digitaler Bildbearbeitung und Geographischen Informationssystemen. Für die geomorphologische Prozessforschung und darüber hinaus für weitere raumbezogene Fragestellungen vermag die vorgestellte Methode die Lücke zu schließen zwischen terrestrischer Photographie und herkömmlichen Luftbildern.