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Gedanken zum "Corona-Semester" 2020

Perspektiven aus Sicht von Studierenden und Lehrenden

 

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Fachschaft der Geographie

Beim Thema „Digitale Lehre“ scheiden sich unter den Studierenden die Geister. Einige sind sehr erfreut über die gewonnene Flexibilität, andere Üben noch an der Selbstdisziplin und gutem Zeitmanagement. Sehr vielen fehlt vor allem der persönliche Austausch.

Durch die neue Situation werden manche Studierende, mal abgesehen von den technischen Voraussetzungen, aber auch vor ganz andere Hindernisse gestellt, die das Studium für sie zusätzlich erschweren oder gar (fast) unmöglich machen. So können beispielsweise Studierende mit einer Hörschädigung einer Online-Vorlesung oder Videokonferenz nur sehr erschwert folgen. Ferner mussten einzelne plötzlich die Empirie für ihre Abschlussarbeit abbrechen.

Es lässt sich dennoch insgesamt festhalten, dass die Online-Lehre besser läuft als es von einigen vermutet wurde. Denn trotz allen und allem, was man vermisst, ist der Verlust an Inhalt und Lernerfolg durch den nicht zu unterschätzenden Arbeitsaufwand und die Mühe der Dozierenden erfreulich überschaubar. Danke dafür!

In der Fachschaftsarbeit ist dieses Semester vieles so wie immer und doch anders. Zu Beginn wurde auch die Fachschaftsarbeit in den digitalen Raum verlagert, mittlerweile können wir uns bei gutem Wetter an der Dreisam treffen. Das erleichtert vor allem das Brainstormen für die Erstiwoche. Denn natürlich wollen wir die neuen Studierenden im Herbst willkommen heißen. Gar nicht so einfach mit den Einschränkungen...

   

Hartmut Fünfgeld

Das „Corona-Semester“ geht dem Ende zu. Zeit, um über die massiven Veränderungen, die den universitären Lehrbetrieb in den letzten Wochen und Monaten bestimmt haben, zu reflektieren. Viele Lehrende wie auch Studierende gehen mit gemischten Gefühlen in die vorlesungsfreie Zeit: einerseits mit dem Wissen, dass die digitale Lehre größtenteils gut funktioniert hat und technisch nicht annähernd so problematisch war wie zunächst befürchtet. Andererseits war das digitale „Basteln“ und Konsumieren von Lehrveranstaltungen oft nicht nur zeitaufwändig, sondern auch nervenaufreibend. Somit verwundert es nicht, dass die vielfach einsetzende Zoom-Ermüdung und der Frust der sozialen Isolation am Arbeitsplatz und im Studium doch gerade gegen Semesterende zunehmend spürbar sind. Die Realisierung, dass digitales Lernen ganz gut funktionieren kann steht der Erkenntnis der nicht zu unterschätzenden Rolle des sozialen Lernens im jetzt rar gewordenen direkten Austausch „F2F“ gegenüber.

So mancher einer von uns Lehrenden konnte bereits vor diesem Sommersemester Erfahrungen in der Online-Lehre sammeln. Dass aber sogar die in der geographischen Ausbildung so zentralen Geländeübungen und Exkursionen digital stattfinden mussten, war doch für fast alle eine Neuerung. Im Rahmen des Master-Moduls „Ecosystem Management“ unternahmen eine Gruppe von 22 Studierenden und ich eine digitale Reise an die Emscher, um uns mit deren natur- und kulturhistorischen Entwicklung bis hin zu den Anstrengungen zur ökologischen Wiederherstellung und Renaturierung des Flusses auseinanderzusetzen. Normalerweise hätten wir dies im Rahmen einer fünftägigen Exkursion ins Ruhrgebiet getan; dieses Jahr mussten wir uns mit einem virtuellen Besuch begnügen. Einerseits war es erstaunlich, was sich die Studierenden durch Recherchen, Medien- und Bildanalysen, telefonische Interviews und Diskussionsrunden mit lokalen Expert*innen erarbeiten konnten. Gleichzeitig war es schwierig, fast schon unmöglich, ein nuanciertes Gespür für die räumlich sehr heterogene, aktuelle ökologische Situation an der Emscher zu entwickeln und beispielweise politische Konfliktlinien hinsichtlich der Renaturierungsmaßnahmen zu identifizieren. Im Netz finden sich eben nur selten detaillierte Darstellungen von lokalen politischen Differenzen, schwelenden Konflikten oder auch finanziellen Herausforderungen, die solchen umfassenden Projekten eigen sind. Nur wenige lokale Expert*innen sprechen gerne im digitalen Zoom-Lehrraum (der nicht selten einem schwarzen Leerraum von kryptischen Nutzer*innennamen und dazugehörenden Kästchen gleicht) über wirtschaftliche Misserfolge und politischen Fallout. Unsere Erfahrung hat deutlich gezeigt, dass der Begriff der „virtuellen Exkursion“ in vieler Hinsicht ein Euphemismus bleibt: virtuell Orte zu besuchen mag aufgrund von YouTube, Webcams und digitalen touristischen Angeboten im Netz gut möglich sein, es kann aber kaum die differenzierende, multisensorische Wissensvermittlung ersetzen, die gerade auch in der erfahrbaren Auseinandersetzung mit lokalen Gegebenheiten und im spontanen sozialen Austausch verborgen liegt. Und so hoffen die beteiligten Lehrenden wie auch Studierenden, dass „virtuelle Exkursionen“ eine notgedrungene Alternative von kurzer Lebensdauer bleiben werden.

Fast schon sicher ist, dass so manche Neuerung dieser kleinen digitalen Revolution noch lange nachwirken wird, Pandemie hin oder her. Aufnahmen von Vorlesungen, virtuelle Kollaborationen an gemeinsam erstellten Texten, oder auch die Gruppendiskussion in digitalen Kleingruppen können die Lehre bereichern. Sie verdeutlichen auch, dass es noch Luft nach oben gibt, um die Hochschuldidaktik und die ihre zugrundeliegenden Lernsysteme vollumfänglich ins 21. Jahrhundert zu befördern. Gleichzeitig können digitale Formate nur bestimmte Formen des Lehrens und Lernens sinnvoll abbilden und unterstützen. Geländepraktika, Exkursionen und der intensive inhaltliche Diskurs im Seminar gehören wohl nur im Ausnahmefall zu den digital-tauglichen Formen des Wissens- und Kompetenzerwerbs. Wir sollten uns also davor hüten, im Post-Corona-Zeitalter alle Lehrformate digital neu denken zu wollen. Davon würde nicht nur die geographische Ausbildung im Feld Schaden tragen.