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Freiburger Geographische Texte, Heft 35

Helga Willer (1992): Ökologischer Landbau in der Republik Irland - Die Ausbreitung einer Innovation in einem Peripherraum

Zusammenfassung

Ziel dieser Arbeit ist eine regionale Darstellung des ökologischen Landbaus. Es geht darum, aufzuzeigen, wie sich der ökologische Landbau in der Republik Irland, einer Peripherregion innerhalb der Europäischen Gemeinschaft, entwickelt, welche hemmenden und fördernden Kräfte auf ihn wirken und schließlich, welche Lösungsmöglichkeiten er bietet, um eine verfahrene Agrarpolitik zu überwinden.

Ökologischer Landbau - "organic farming" -, eine landwirtschaftliche Produktionsmethode, die sich an ökologischen Gesichtspunkten orientiert, wird hier verstanden, wie er in den Richtlinien der FOAM, der Internationalen Vereinigung Ökologischer Landbaumethoden, definiert ist. Die Richtlinien des Irischen Anbauverbandes "Irish Organic Farmers' and Growers' Assocation" bewegen sich in deren Rahmen. In die Erhebung wurden nur vom Anbauverband anerkannte Betriebe aufgenommen.

Vom methodischen Ansatz stellt sich die Arbeit in die Tradition der geographischen Innovationsforschung. Im Rahmen der empirischen Erhebung wurden nicht nur Bodennutzungs-, Betriebs- und Vermarktungsstruktur erfaßt, sondern es wurde auch versucht, Aufschluß über naturräumliche und sozioökonomische Limitierungen, über den Innovationseffekt, Informationsbahnen und Adoptorkategorien zu gewinnen. Bei einer Befragungsaktion, die sowohl eine mündliche (offene Interviewform) als auch eine schriftliche Befragung (standardisierter Fragebogen) umfaßte, konnten von 82.8 % aller im Jahr 1988 vom Anbauverband anerkannten Betriebe (insgesamt 71) Daten gewonnen werden.

Nach einem kurzen landeskundlichen und wirtschaftsgeschichtlichen Überblick wird das Irland der achtziger Jahre vorgestellt. Die Industrialisierung des Landes, die seit den sechziger Jahren vorangetrieben wird, um die Abhängigkeit von der Landwirtschaft zu vermindern, ist weitgehend gescheitert. Das heutige Irland ist gekennzeichnet von Armut, einer hohen Staatsverschuldung, Emigration und Arbeitslosigkeit. Damit verbunden ist ein äußerst geringes Umweltbewußtsein. Mit seinen sozioökonomischen Grunddaten weist Irland große Ähnlichkeit mit den Mittelmeerländern auf und kann innerhalb der Europäischen Gemeinschaft als Peripherregion klassifiziert werden. Irland mit den Mittelmeerländern verbindende Kennzeichen sind eine geringe Einwohnerdichte, ein geringes Bruttoinlandprodukt, eine geringe Kaufkraft der Bevölkerung und eine hohe Bedeutung der Landwirtschaft für die Gesamtwirtschaft. Bei der landwirtschaftlichen Produktion dominiert aufgrund des kühl-gemäßigten Klimas der Futterbau; Mastvieh- und Milchviehhaltung machen den größten Teil der agrarischen Wertschöpfung aus. In der irischen Landwirtschaft ist eine starke Polarisierung zu verzeichnen: Den Großbetrieben mit Milchviehhaltung und Ackerbau in Süd- und Ostirland, die im Vollerwerb bewirtschaftet werden und durch einen hohen Grad der Kommerzialisierung gekennzeichnet sind, steht eine Vielzahl von kapitalschwachen Kleinbetrieben gegenüber, die auf den kargen Westirlands vor allem extensive Weidewirtschaft betreiben. Der in Irland besonders seit dem EG-Beitritt (1973) ablaufende Agrarstrukturwandel hat dies Disparitäten verschärft und Ende der achtziger Jahre befindet sich die irische Landwirtschaft in einer tiefen Krise. Diese äußert sich u.a. durch Infrastrukturverfall im ländlichen Raum und Umweltbeeinträchtigung durch landwirtschaftliche Verursacher.

Die Befragung bei den irischen Ökobauern und -gärtnern, deren Ergebnisse unter drei Aspekten dargestellt werden (Bodennutzungs- und Betriebsstrutkur, Vermarktung, soziopersonelle Kennzeichen), zeigte, daß 0.02 % der LF (1665 ha) von den befragten Ökobauern und -gärtnern bewirtschaftet wurden, was im Vergleich zum Ökolandbau in den anderen Ländern der EG sehr wenig ist. Hervorzuheben bei der betrieblichen Struktur ist der auffällige Gegensatz zwischen Klein- und Großbetrieben, wobei die durchschnittliche Betriebsgröße über der im konventionellen Landbau liegt. Mehr als die Hälfte der Betriebe bezieht ihr Einkommen hauptsächlich aus dem Gartenbau; bei den landwirtschaftlichen Betrieben dominieren Gemischtbetriebe. In der Bodennutzung wird dies in einem Vergleich zum konventionallen Landbau sehr hohen Anteil an Intensivgemüsefläche (2 % der LF), weiter in einem hohen Ackeranteil (34 % der LF) reflektiert. Seine regionalen Schwerpunkte hat der ökologische Landbau in Südostirland (vor allem Landwirtschaftsbetriebe), weiterhin um Dublin und Cork und in Nordwestirland (Gartenbaubetriebe). Insgesamt zeichnet sich der ökologische Landbau durch eine hohe Arbeitsintensität, eine hohe Flächenproduktivität und einen geringen Grad der Spezialisierung aus. Die agrarstrukturellen Kennzeichen des ökologischen Landbaus lassen sich teilweise aus den naturgeographischen Bedingungen (produktionstechnische Probleme beim Ökolandbau in Westirland) und aus dem System des ökologischen Landbaus (Beschränkung des Futtermittelzukaufs, Fruchtfolgevorschriften) erklären.

Bei der Vermarktung von Ökoprodukten dominieren zum Zeitpunkt der Befragung pflanzliche Produkte. Die Vermarktung von Fleisch und Verarbeitungsprodukten bereitet noch erhebliche Probleme. Unter den Absatzwegen herrschen verschiedene Formen der Direktvermarktung vor. Auffällig ist die hohe Bedeutung der Supermärkte als Absatzschiene, wobei die Hauptstadt Dublin den wichtigsten Markt im Lande darstellt. Das größte Problem stellt die bislang vergleichsweise geringe Nachfrage dar und die daraus resultierende Schwierigkeit, höhere Preise für Bioprodukte zu erzielen. Beispiele für bereits etablierte Vermarktungswege zeigen jedoch, wie Märkte und damit Anreize zur Umstellung auf ökologischen Landbau geschaffen werden können. Bestehende Vermarktungsschienen erklären z.T. auch die regionalen Schwerpunkte des ökologischen Landbaus.

Unter den Biobauern und -gärtnern gibt es auffällig viele Ausländer; diese sind in den siebziger und achtziger Jahren nach Irland gekommen und bewirtschaften überwiegend Gartenbaubetriebe. Auf ökologischen Landbau stellen vor allem solche landwirtschaftliche Familienbetriebe um, die ihren Standort in Südostirland - einer Gegend mit einer bereits historisch belegbaren Adoptionssensibilität - haben und eine gemischte Landwirtschaft mit hohem Ackerbauanteil betreiben. Dabei kam der Anstoß zur Umstellung häufig von den zugewanderten Gärtnern und Landwirten. Bei der Motivation, ökologisch zu wirtschaften, dominiert die Sorge um die Umwelt. Dies bedeutet auch, daß ökologischer Landbau weniger aus wirtschaftlichen Überlegungen, sondern aus ideellen Gründen betrieben wird.

So wird in dieser Arbeit gezeigt, daß der ökologische Landbau in seinem Vorkommen, Erscheinungsbild und mit seinen regionalen Schwerpunkten von mehreren Faktoren abhängig ist: vom Naturraum, von der Produktionsmethode, von existierenden Vermarktungsschienen, von Umfang, Art und Verteilung der Nachfrage als Ausdruck von Wirtschaft und Gesellschaft, von individuellen Unternehmerentscheidungen, die auch in Zusammenhang stehen mit bestimmten gesellschaftlichen Strömungen, und schließlich vom Status Irlands als Land an der europäischen Peripherie. Die Analyse der Diffusion des ökologischen Landbaus in einem Peripherieraum verdeutlicht, daß der periphere Status die Entwicklung des ökologischen Landbaus behindert (geringe Akzeptanz unter Verbrauchern, Landwirten und in der Agrarverwaltung). Er wurde von Immigranten nach Irland eingebracht und breitet sich erst seit Mitte der siebziger Jahre aus - also jit einer erheblichen zeitlichen Verzögerung gegenüber den europäischen Kernräumen. Allerdings wandelt sich das Bewußtsein in den achtziger Jahren, so daß der ökologische Landbau jetzt an Bedeutung gewinnt. Er deckt sich in seinen Maßnahmen mit den Zielen der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik und kann Lösungen bieten (höherer Arbeitskräftebedarf, Schaffung neuer Märkte, Vermeidung von Umweltbelastungen, standortgebundene Produktion, Diversifizierung des Nahrungsmittelangebots, höhere Nahrungsmittelqualität). Unter den Bedingungen eines wachsenden Marktes für Produkte aus ökologischem Landbau sowohl in Irland als auch vor allem auch im Ausland zeigt sich, daß Irland gerade wegen seines peripheren Status durchaus auch Standortvorteile für die Erzeugung von Ökoprodukten aufzuweisen hat, wie eine geringe Schadstoffbelastung, das positive Image als Grüne Insel und eine noch stark flächengebundene und nur wenig betriebsmittelintensiv wirtschaftende Landwirtschaft.