Sie sind hier: Startseite Publikationen und … FGH Zusammenfassungen Freiburger Geographische Hefte, …

Freiburger Geographische Hefte, Heft 45

Peter Wagner (1994): Das Bergwindsystem des Kinzigtales (Nordschwarzwald) und seine Darstellung im mesoskaligen Strömungsmodell MEMO

Zusammenfassung

Für lufthygienische und bioklimatische Fragestellungen muß Lokalwindsystemen eine besondere Bedeutung eingeräumt werden. Dabei spielen Probleme wie die Oberflächengestaltung, Landnutzung, Relief und Höhe des Untersuchungsgebietes sowie die Reichweite und Wirksamkeit des Lokalwindes eine besondere Rolle.

Auswertungen von Messungen im Bereich des Schwarzwaldrandes zur Rheinebene (Murgtal, Münstertal, Kinzigtal) zeigen, daß das Bergwindsystem im Murtal, sowohl was die Häufigkeit als auch die Geschwindigkeit des Bergwindes betrifft, im Vergleich zu den anderen beiden Tälern schwächer ist. In allen drei Tälern liegt das Maximum der Bergwindereignisse in den Sommermonaten. Die mittleren jährlichen Windgeschwindigkeiten an den Meßstationen zeigen aufgrund starker, lokaler Einflüsse große Unterschiede. Der höchste Wert tritt in Ortenberg mit 4,0 m/s auf, wo auch das Geschwindigkeitsmaximum nachts erreicht wird; sonst sind mittlere Geschwindigkeiten von 2,0-2,5 m/s typisch.

Vertiefend werden umfangreiche statistische Untersuchungen zu den Windverhältnissen in der Ortenau durchgeführt. Aufgrund eines engmaschigen Windmeßnetzes war es dort möglich, verschiedene charakteristische Windregime festzustellen und zu separieren (rheintaldominierte, seitentaldominierte oder beide). Es lassen sich Typen der Strömungsmuster in der Ortenau und im Kinzigtal ableiten. Starke und schwache Bergwindereignisse (unter Einfluß von großräumigen Anströmungen aus unterschiedlichen Richtungen), eine winterliche Stagnationslage (Abheben des Bergwindes vom Boden aufgrund von Nebel und Inversionswetterlagen) und eine Frühjahrssituation mit starkem Austausch, der tagsüber zu Strömungen quer zum Kinzigtal führt.

Mit Hilfe von Ballonsondierungen und SODAR-Messungen im Ortenberg im Rahmen von REKLIP kann eine Höhenerstreckung des Kinzigtal-Bergwindes von bis zu 300 m ü.Gr. nachgewiesen werden. Der Bergwind wächst dabei am Talausgang am abendlichen Beginn nicht immer kontinuierlich in die Höhe, sondern kann sich auch innerhalb kürzester Zeit in der ganzen Höhenschicht bis 150 m ü.Gr. einstellen. Für den Abbau am Morgen gilt das Gleiche. Meßfahrten im Raum Kinzigtal-Offenburg zeigen große räumliche und zeitliche Variationen des Bergwindes. Die Ausströmung aus dem Tal erfolgte eher strahlförmig als aufgefächert. Immer wieder wurde westlich des Kinzigtalausgangs ein eng begrenzter Windsprung innerhalb von 100 m Distanz beobachtet (Hofweier-Phänomen). Deutlich war auch ein starkes Pulsieren des Bergwindes festzustellen.

Mittels Korrelationen wurden geschwindigkeitsabhängige Windrichtungsverteilungen zwischen der lokal unbeeinflußten Station Kehl im Zentrum des Rheingrabens und den übrigen Stationen des Windmeßnetzes erstellt. Untersuchungen für den Nachtzeitraum belegen die Mächtigkeit des Kinzigtal-Bergwindes. Dieser kann sich noch, bei einer Gegenströmung aus Nordost von 3-5 m/s im Rheintal, am Talausgang durchsetzen. Einfache, theoretische Überlegungen in Bezug auf die dynamische Kanalisierung wurden auf das Kinzigtal angewendet. Zumindest für Anströmgeschwindigkeiten von mehr als 10 m/s in 850 hPa konnten diese bestätigt werden.

Es wurden Modellrechnungen für einen Großteil des Kinzigtales und ein Vergleich mit Meßdaten der REKLIP-Intensivmeßphase für den 15./16.09.1992 durchgeführt. Die Größe des Modellgitters betrug 500x500 m bei einer Ausdehnung des Untersuchungsgebietes von 30x36 km. Die Rechnungen haben gezeigt, daß das verwendete mesoskalige, nicht-hydrostatische Modell MEMO (Institut für Technische Thermodynamik, Universität Karlsruhe) in der Lage ist, auch recht kleinräumige Strömungen (Hangabwinde, Berg- und Talwinde) hinreichend genau zu beschreiben. So wird der Beginn des Bergwindes am Talausgang recht gut erfaßt. Auch die berechnete niedrigere Berggeschwindigkeit liegt in einer akzeptablen Größenordnung. Die am Talausgang auftretenden höheren Geschwindigkeiten im Vergleich zum inneren Kinzigtal, werden vom Modell auch richtig wiedergegeben. Größere Abweichungen treten am Ende der Bergwindnacht auf. Aufgrund einer großen thermischen Stabilität kann der Bergwind im Modell am Morgen nicht mehr bis zum Boden durchgreifen und hebt vom Boden ab, was nicht der Realität entsprach. Abgesehen davon, schwächt sich der Bergwind auch in der Höhe vergleichweise früh ab.

Die Rechnungen zeigten eine große Sensitivität des Modells gegenüber Variationen der thermischen Schichtung und eine Tendenz zur Stabilisierung derselben aufgrund intensiver Ausstrahlung und Abkühlung der Erdoberfläche. Ziel hypothetischer Simulationen war es, das Verhalten der Kanalisierung bzw. der Berg- und Talwindentwicklung bei Änderung der Landnutzung bzw. bei unterschiedlicher großräumiger Anströmung zu analysieren.

Bei Simulation mit einer synoptischen Anströmung aus Südwest ist der Bergwind im mittleren Kinzigtal ebenfalls weniger stark ausgeprägt als am Talausgang. Dort hat der hochreichende Bergwind (250 m ü.Gr.) die Möglichkeit, über der stabilen Schicht Impuls des Südwestwindes "anzuzapfen". Der Bereich Biberach-Zell im mittleren Kinzigtal kann als ein windschwaches innermontanes Becken bezeichnet werden, das Ähnlichkeiten mit dem ebenfalls windschwachen Zartner Becken aufweist. Meßfahrten haben diesen Eindruck bestätigt.

Eine Simulation einer Südwestanströmung mit Wolken hat gezeigt, daß es nicht möglich ist, eine strenge Trennung nach thermischen und dynamischen Windanteilen vorzunehmen, da auch in diesem Fall thermische Hangabwinde auftreten und Bergwinde erzeugen. Am Talausgang können die schwachen Bergwinde durch die Sogwirkung der Rheintalströmung verstärkt werden, da bei geringer Ausstrahlung keine Entkopplung der Luftströmung durch stabile Schichtung eintritt.

Die Vorgabe einer synoptischen Anströmung aus Ost führt im Modell überraschenderweise zu sehr geringen Bergwinden im Kinzigtal. Es findet eine Umströmung des Brandeckkopf-Gebirgszuges statt, die zu einer hochreichneden Windschattenzone führt. Dadurch ist auch eine Verstärkung des Bergwindes wie in den beiden vorigen Fällen nicht möglich.

Die Rodung der gesamten Waldfläche im Modellgebiet führt im inneren Kinzigtal zwar tagsüber zu einer leichten Erhöhung (verminderte Reibung), nachts aber überwiegend zu einer leichten Reduzierung der Geschwindigkeit. Am Talsausgang ist zu Beginn der Nacht ein verzögertes Ansteigen der Windgeschwindigkeit zu verzeichnen, ansonsten sind die Auswirkungen als geringfügig einzustufen.

Durch großflächige Bebauung des Kinzigtales bleiben nach den Modellrechnungen die Auswirkungen lokal begrenzt. Die Windverhältnisse am Talsausgang im Bereich Offenberg/ Ortenberg wrden nur wenig beeinflußt, da die Luftmassen zum Großteil aus den Seitentälern und den umliegenden Bergen stammen und sich nicht in der Talsole kontinuierlich akkumulieren. Der Einfluß der Größe des Einzugsgebietes auf den Bergwind ist offenbar geringer als bisher vermutet. Die vertikale Mächtigkeit des Bergwindes bewirkt, daß Hindernisse, anders als bei Kaltluftabflüssen, überströmt werden und einen nur unbedeutenden Einfluß auf die Stärke des Bergwindes im Lee ausüben. Talaufwärts können dagegen, gerade bei geringem Gefälle des Tales, Staueffekte am Boden auftreten oder verstärkt werden.