Freiburger Geographische Hefte, Heft 50
Zusammenfassung
Der Takugletscher (710 km2, 59.5 km Länge), ein Tidewater-Gletscher im südlichen Juneau Icefield, stößt seit 1899 in den nördlichen Takufjord vor. Die Vorstoßstrecke der Taku-Hauptgletscherzunge betägt seitdem 7.3 km, die des Hole-in-the-Wall-Gletschers 3.3 km, wobei die Vorstoßraten bis heute jedoch kontinuierlich abnehmen und der Eisrand seit 1989 stagniert. Durch den Vorstoß wurde eine mächtige Frontmoräne aufgeschoben, die den Gletscher vor Kalbung in das Fjordwasser schützt und ihn auf den ersten Blick nicht als Tidewater-Gletscher zu erkennen gibt. Als Tidewater-Gletscher unterliegt er einem periodischen Vorstoß/Rückzug-Zyklus.
Der Matthesgletscher wurde als stärkster Teilgletscher und einziger Tidewater-Gletscher des Gletschersystems identifiziert. Der Demorest-Teilgletscher und die NW-Branch führen dem Haupteisstrom auch noch substantielle Eisvolumina zu und beeinflussen die Eisdynamik, wobei das gesamte Eis des Demorestgletschers in den Hole-in-the-Wall-Gletscher fließt. Die SW-Branch ist für die Dynamik des Taku-Gletschersystems völlig unbedeutend,
Die aktuelle Dynamik des Taku-Gletschersystems resultiert aus einer stark positiven Massenbilanz und dem Tidewater-Gletscherzyklus (Kompensation für die katastrophale Rückzugsphase). Hierbei kontrolliert der Tidewater-Zyklus die Periodizität, aber nicht die individuellen Vorstoßraten eines Gletschers, die überwiegend durch die Massenbilanz des Gletschers beeinflußt werden. Die stark positive Massenbilanz des Takugletschers führt zu Eisoberflächenerhöhungen im Akkumulations- und Ablationsgebiet und generiert hohe Eisfließgeschwindigkeiten.
Zwei unterschiedliche Fließgeschwindigkeitsphasen hat der Takugletscher in den letzten 50 Jahren durchlaufen, wobei in der ersten Phase die Fließgeschwindigkeiten durch die Kalbungsdynamik an der Eisfront gesteuert wurden. Nach Beendigung der Kalbung 1953 erniedrigten sich in der zweiten Phase die Fließgeschwindigkeiten und sie werden heute vor allem durch Massenbilanzschwankungen beeinflußt. Das Fließmuster ist überwiegend parabolisch, doch tritt unterhalb der ELA ein teilweiser Übergang zur Blockschollenbewegung mit Tagesfließgeschwindigkeiten von knapp 1m/Tag auf.
Seismische Messungen auf dem Takugletscher haben große Eismächtigkeiten von teilweise über 1400 m im Haupteisstrom ergeben. Eismassentransportberechnungen an der ELA zeigen, daß der Takugletscher jährlich weniger Eis aus dem Akkumulationsgebiet hinaustransportiert als Schneeniederschlag fällt, was heißt, daß das Akkumulationsgebiet an Eismächtigkeit zunimmt.
Aufgrund der Gletscherlänge und -größe wird das Eis aus dem Akkumulationsgebiet mit einem Verzögerungsfaktor von 60 bis 380 Jahren ins Ablationsgebiet transportiert, so daß die aktuelle Gletscherzunge durch Eis, das vor Jahrhunderten als Schnee fiel, ernährt wird. Im Ablationsgebiet kommt es damit zur Interaktion von historischen Klimabedingungen (Gletschereis) mit dem aktuellen Klima in Form von Ablationsraten.
Die überdurchschnittlich warmen Sommer der letzten Jahre führten zu hohen Ablationsraten im Ablationsgebiet, die über den Durchschnittswerten der letzten 50 Jahre liegen. Dies ließ die Gletscherfront stagnieren und brachte geringe Eisoberflächenerniedrigungen im Ablationsgebiet mit sich. Momentan ist die Eisfront des Takugletschers noch stabil und es hängt von Ablationsraten der nächsten Jahre und den ins Ablationsgebiet transportierten Eismengen ab, ob der Eisrand weiter stagniert, sich zurückzieht oder wieder vorrückt. Der Eisflux vom Akkumulationsgebiet ins Ablationsgebiet war über die letzten jahre relativ konstant, was auch die gleichmäßigen Fließgeschwindigkeiten an der ELA zeigen. Die kritische Größe für die aktuelle Massenbilanz ist somit überwiegend die Ablation. Sollten in den nächsten Jahren größere Schwankungen im Eistransport auftreten, kann sich dies jedoch ändern. Fest steht, daß ein geringer Rückzug von der Frontmoräne unweigerlich zur katastrophalen Rückzugphase des Tidewater-Gletscherzyklus führen wird, der erst am Fjordkopf zum Stillstand kommen wird. Für einen weiteren substantiellen Vorstoß des Gletschers ist eine deutliche Eisoberflächenerhöhung im Gletscherzungenbereich in den nächsten Jahren unerläßlich.
Im Vorfeld des Takugletschers wurden Moränenzüge entdeckt, die einen Vorstoß im 18. Jahrhundert zuzuordnen sind, dessen Maximalausdehnung zwischen 1720 und 1755 erreicht wurde. Die Ausmaße und Konfigurationen des Takugletschers von 1755 konnten damit eindeutig rekonstruiert werden. Dabei hat eine genaue Untersuchung von Taku Point gezeigt, daß der Takugletscher damals nicht das östliche Fjordufer erreichte, den Taku River blockierte und einen Eisstausee bis nach Kanada aufstaute.
Zusätzlich wurden zahlreiche ältere Moränen auf der Norris Ridge und den Brassiere Hills neu entdeckt. Durch Grabungen und 14C-Datierungen von Holz konnte nachgewiesen werden, daß es sich dabei um Moränen handelt, die vom sich unter Fluktuationen zurückziehenden spätglazialen und frühholozänen Eisrand des Takugletschers abgelagert wurden. Der erste neoglaziale Vorstoß erfolgte um ca. 2700 J.v.h., worauf glazifluviale Ablagerungen Hinweise geben. Bis zur Vorstoßphase im 18. Jahrhundert konnten keine weiteren eindeutigen Spuren gefunden werden, die auf einen Gletschervorstoß hindeuten würden.
Der Norrisgletscher (180 km2, 27 km Länge) erreichte sein seit dem Spätglazial größtes Maximum um 1916. Für einen Vorstoß im 18. Jahrhundert konnten keinerlei Hinweise gefunden werden, doch scheint der Gletscher über mehrere Jahrhunderte hinweg einen relativ hohen Eisstand gehalten zu haben. Seit 1916 zieht sich der Eisrand des Norrisgletschers, der in einem Schmelzwassersee endet, mit zunehmenden Rückzugsraten zurück. Die Grizzly Bar, ein glazifluviales Schotterfeld im Vorfeld des Norrisgletschers, befindet sich im Stadium der Bewaldung und wird an der Nordseite vom vorrückenden Takugletscher durch den Norris River erodiert.
Erstmals wurden damit teilweise spät- und postglaziale Fluktuationen des Taku- und Norrisgletschers rekonstruiert.
Ausblick
Durch die hier präsentierte Arbeit ist die Dynamik des Takugletschers sehr gut bekannt und alle glaziologischen Parameter sind erfaßt worden. Dennoch können einige spezielle weiterführende Projekte empfohlen werden, die im Besonderen eine jährliche Überwachung der Gletscherzungendynamik betreffen.
- Ausbringung zahlreicher Eishöhenmeßstangen auf der Gletscherzunge, um jährliche Eismächtigkeitsveränderungen und Ablationsraten zu dokumentieren.
- Jährliche Eisrandpositionsbestimmung, um eventuelle Längenänderungen der Eisfront zu ermitteln.
- Moderne Eismächtigkeitsmessungen an den Profilen 3a, 3, 9a, 5 und 7 sowie longitudinales Eismächtigkeitsprofil von der Eisfront bis Profil 2.