Freiburger Geographische Hefte, Heft 65
Zusammenfassung
Die Mittelgebirge Deutschlands gelten aufgrund ihrer mittelalterlichen Besiedlung und Landnutzung als Jungsiedelland. Wenig bekannt ist bisher über die Auswirkungen der Landnutzung auf die Geomorphodynamik in einem hohen Mittelgebirge wie dem Schwarzwald. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit den Fragen, wann die Siedlungs- und Landnutzungsgeschichte im Mittleren Schwarzwald tatsächlich beginnt und wie sich die mannigfaltigen Eingriffe des Menschen auf die Reliefformung ausgewirkt haben. Aus wissenschaftlicher Sicht ist sie daher der geographischen Teildisziplin der „Anthropogenen Geomorphologie“ zuzuordnen.
Das Gebiet der europäischen Hauptwasserscheide im Mittleren Schwarzwald bietet sich als Untersuchungsraum besonders zur Beantwortung der Fragestellungen an, da in ihm verschiedene Relief- und Entwässerungssysteme (danubisch und rhenanisch) aufeinander treffen, die eine vergleichende und umfassende Beurteilung der anthropogenen Reliefformung ermöglichen.
Die Arbeit beruht im Wesentlichen auf geomorphologischen Untersuchungen, die jedoch durch zahlreiche weitere Methoden und Herangehensweisen ergänzt werden. Dazu gehören geophysikalische Methoden, aber auch innerhalb des Graduiertenkollegs „Gegenwartsbezogene Landschaftsgenese“ angewandte Methoden wie die Holzkohlenkunde und die Pollenanalyse. Neben den Bio- und Geoarchiven wurden auch historische Archive hinsichtlich der Landnutzungsgeschichte im Untersuchungsraum ausgewertet. Eine zentrale Rolle bei der Interpretation der Ergebnisse spielt neben den geomorphologischen Labormethoden die geochronologische Einordnung der Sedimente mittels Radiokarbondatierungen besonders an Holzkohle. Die Ergebnisse der Datierungen untermauern insbesondere die stratigraphische Einordnung von Substraten zu Schichten und machen eine zuverlässige Zuordnung der Sedimente zu Landnutzungsphasen erst möglich. Die vorliegenden umfassenden Ergebnisse zu den Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Landnutzung und Reliefformung im Mittleren Schwarzwald belegen, dass sich die durchgeführte interdisziplinäre Herangehensweise bewährt hat.
Ein erster anthropogener Eingriff kann demnach für die Nachlimeszeit festgestellt werden. Er ist allerdings ohne flächenhafte und nachhaltige Wirkung für die Reliefformung im Untersuchungsraum. Ab dem Früh- und Hochmittelalter – und damit früher als bisher von Historikern belegt, die von einer Besiedlung im Zuge der Klostergründung St. Georgen 1084 sprechen – kann sowohl in den Geoarchiven als auch in den pollenanalytisch untersuchten Niedermoortorfen eine erste systematische Urbarmachung verbunden mit einer umfassenden Nutzung des Raumes festgestellt werden. Ausdruck dieser ersten Landnutzungsphase ist auch die Errichtung einer Motte im Gewann Vogte. Die anhaltende intensive landwirtschaftliche Nutzung an den Hängen führt zu starken Bodenerosionsprozessen, die sich einerseits in der weiteren Ausräumung der periglaziären Sedimente an den Hängen (Kappung der Fließerden) und im Taltiefenbereich (Erosion der Niederterrassenschotter) auswirken und andererseits zur Akkumulation von mächtigen Kolluvien und Auensedimenten führen. Heute existieren die periglaziären Fließerden flächenhaft lediglich aus Basislagen, die Mittel- und Hauptlagen wurden im Untersuchungsraum großflächig erodiert.
Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten bis ins 19. Jh. hinein erreichte die Bodenerosion verursacht durch Landnutzungsformen wie der Reutbergwirtschaft immer wieder extreme Ausmaße, die sich ebenfalls in Kolluvien und Auensedimenten /-lehmen äußern. Neben dem Hochmittelalter ist das 18./19. Jh. aus geomorphodynamischer Sicht als besonders aktive Phase zu bewerten. Letztere geht einher mit einer in den historischen Karten dokumentierten starken Landnutzung. So sank der Anteil der Waldfläche um 1800 auf 17% der Gesamtfläche. In den Zwischenzeiten sind Phasen geomorphodynamischer Ruhe festzustellen. Sie stimmen mit den Ruhephasen der Landnutzung im ausgehenden Spätmittelalter und während und nach dem Dreißigjährigen Krieg überein. Auch in den letzten beiden Jahrhunderten kam und kommt es zu einer anthropogenen Reliefgestaltung, wie das Kerbenreißen im Hexenloch der letzten 50 Jahre ein-drucksvoll belegt. Zukünftig könnte es durch die prognostizierte Zunahme der Starkregenereignisse im Schwarzwald im Zuge der globalen Klimaveränderungen zu einer Destabilisierung der großflächig auftretenden Lockersedimentdecken im Schwarzwald kommen. Wie die Beispiele der Rutschung im Rohrbachtal und des Kerbenreißens im Hexenloch zeigen, können relativ kleine Eingriffe des Menschen in die Landschaft starke Auswirkungen auf die Reliefgestaltung haben.